Montag, 7. April 2014

Hermann und die grünen Noppen -  Pique Dame-Premiere am Opernhaus Zürich




Am 06.04.2013 habe ich es wieder mal gewagt, einen Fuß in die Züricher Oper zu setzen. Regietheater hin oder her – die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Robert Carsen ist zwar dafür bekannt, modern zu inszenieren, aber immerhin sieht es bei ihm in allgemeinen noch elegant auf der Bühne aus – also kein Blut, keine Nackten, Nazi-Uniformen, et cetera et cetera. Man kann es ja mal probieren, dachte ich …

Allerdings ließ bereits die Einführung Schlimmes befürchten. Zunächst hatte die sympathische Frau Dramaturgin einige Fakten zur Entstehungsgeschichte des Werks, aus Tschaikowskis Leben und über die Motive der Partitur. Das war interessant (auch wenn an einiges schon vorher wusste) und machte Glauben, man sei in einer ernsthaften Veranstaltung gelandet, bis Frau Dramaturgin erklärte, man habe in einigen Szenen der Oper radikal den Rotstift angesetzt, weil der Regisseur aus ominös-zweideutigen Briefen wisse,was der Komponist wirklich wollte, aber nicht umsetzten konnte. Tschaikowski habe sich wieder einmal den Konventionen in St. Petersburg anpassen müssen und dabei seine eigenen Wünsche zurückstellen müssen.

Das übliche Blabla. Hurra!- endlich wissen wir es und, Carsen sei Dank, habe man den Eingangschor sowie das Schäferspiel gestrichen, um näher an Tschaikowskis eigentliche (!) mutmaßliche Intentionen heranzukommen. Der Regisseur hat uns diesbezüglich erleuchtet.

In einem Punkt muss ich dem Regisseur also Komplimente machen, denn durch die Kürzungen musste ich seine „Inszenierung“ nicht noch länger ertragen. Dennoch war es ein Abend, der bis auf einige kurze Augenblicke nach der Pause vor allem eines war: sterbenslangweilig.

Natürlich darf man bei Neuinszenierungen nicht mehr den roten Hauptvorhang des Opernhauses verwenden, der ist ja viel zu schön. Schwarz soll er sein zu Beginn. Und natürlich hebt er sich bereits zur Ouvertüre – man darf ja heute Musik nicht mehr bei geschlossenem Vorhang genießen. Hermann liegt bereits sterbend auf dem Boden, das Geschehen spielt sich als Rückblende in seinem Kopf ab. Hat man in dieser Originalität noch nie gesehen vor Herrn Carsen. Noch nie.

Wahrlich revolutionär wäre es doch gewesen, auf ein Abspielen der weiteren Oper ganz zu verzichten, wenn der Held bereits am Anfang stirbt. Man könnte Violetta oder Mimi ganz prima am Anfang sterben lassen – und den Rest der Oper dann einfach streichen, das wäre mal was ganz Neues und Hochintellektuelles, darüber hinaus würde es kostbare Lebenszeit ersparen. Dies allerdings nur am Rande.

Nun, der Kinderchor am Anfang war also gestrichen, denn die Szene spielte bereits in einem Kasino, wo unter 18jährige bekanntlich keinen Zutritt haben. Dass die Übertitel auf eine Szene im Park Bezug nahmen und das Bühnengeschehen ad absurdum führten, nahm das Regieteam wohl in Kauf (oder es war ihnen einfach wurscht).

Der von Michael Levine entworfene Einheitsraum war komplett grün ausgefallen, drei grüne scheußliche Wände mit Noppen, wie wir sie von alten Ledersofas kennen. Das ganze wurde in düsteres Einheitszwielicht getaucht. Dazu gab es Spieltische, die von Lampen beleuchtet wurden, die aussahen wie Besen – ebenfalls in grün. Toll – wenn man bedenkt, dass man die Szene auch in ein Bahnhofsklo hätte verlegen können.

Brigitte Reiffenstuel hat Kostüme in Stil der Sechziger entworfen und sich dabei am Film „L'année dernière à Marienbad“ inspirieren lassen. Nur wie oft in Regietheater-Zeiten kann dieser Film herangezogen werden?  Und warum durfte das Stück nicht 1790, wie laut Libretto angegeben spielen oder zumindest um 1830 wie bei Puschkin? Der Regisseur wusste es wohl wieder einmal besser.
Hatte die Dramaturgin in der Einführung noch von wunderschönen Kostümen gefaselt, musste ich konsterniert feststellen, dass es sich um gewöhnliche Abendkleider handelte, alle in schwarz selbstverständlich, nur bei der alten Gräfin reichte noch es für einen weißen Pelzmantel. Tierschützer werden ihre Freunde gehabt haben.

Kaum konnte man in der Dunkelheit die Sänger sehen, geschweige denn auseinander halten.
Dann wurden die Spieltische weggeräumt und die Mädchen formierten einen Stuhlkreis. Das Klavier stand nicht auf der Bühne, sondern im Graben. Hermann, in dessen Kopf sich das ganze abspielen sollte, kreiste enervierend um die Stühle. Dann fuhr eine Wand von hinten nach vorne. Sollte wohl Enge oder Ausweglosigkeit suggerieren. Leider konnte man da die grünen Noppen nicht mehr anschauen. Auch bezweifle ich, das ein Spielsüchtiger wie Hermann immer an grüne Noppen denkt, aber was solls, sei´s drum....

Jedenfalls war man im zweiten Akt nicht auf einem Maskenball, sondern wieder im Kasino. Abermals waren Übertitel und Szenerie völlig zweierlei. Zum Ende der Szene, wenn eigentlich die Zarin auftreten sollte, wurde ein Bett von oben heruntergelassen und "landete" auf den nun zusammengeschobenen Spieltischen. Hermann kletterte darauf und von oben ergoss sich ein Regen aus Dollarnoten. Platt. Lächerlich. Holzhammer. Bildete sich der Spieler nun ein, selbst die Zarin zu sein? Man weiss es nicht und will es gar nicht wissen.

Dafür war mitten im zweiten Akt war Pause. Damit man von der ursprünglichen Akteinteilung nichts mitkriegt, ist im Programm nur noch von durchnummerierten Bildern die Rede – allerdings passt die Pause an dieser Stelle gar nicht. Dass Tschaikowski den zweiten Akt mit seinen beiden Bildern als eine Einheit betrachtete ( sonst hätte er es nicht als Akt bezeichnet), kam Herrn Carsen offenbar nicht in den Sinn.

Als es nach einer halben Stunde weiterging, befürchtete man das Schlimmste und wurde positiv überrascht. Auf einmal hielt sich der Regisseur zumindest ansatzweise ans Libretto (soweit das trotz Zeitverlegung noch möglich war) und da gelangen dann doch noch zwei wirklich spannende Szenen, die mit ein paar Theatertricks garniert waren. Die Szene im Gemach der alten Gräfin und das darauf folgende Bild mit der Beerdigung und dem gräflichen Geist waren sehr intensiv und musikalisch umgesetzt. Auch die Lichtregie brachte etwas Abwechslung, denn die grünen Noppen waren ein paar Minuten nicht sichtbar.

Aber das Regietheater gönnt einem bekanntlich nichts. Und so ging die Tristesse bald weiter. Statt in den Fluss zu springen, rennt die Lisa immer im Kreis in dem grünen hässlichen Noppen-Raum. Ach du liebes Lieschen, dachte ich. Und auch die Schlussszene, wieder mit den Spieltischen und Besenlampen ist todlangweilig und völlig um den Effekt gebracht – peinlich.

Dass der Abend so uninspiriert war, ist nicht nur der aalglatten Regie, sondern auch den Sängern anzulasten. Aleksanders Antonenko ist zwar ein sehr ansprechender Hermann. Er war erst in den Endproben in die Inszenierung eingestiegen, was man ihm aber zu keinem Zeitpunkt anmerkte. Allerdings: was kann schon der beste Sänger in einem so doofen Ambiente erreichen? Wenig, auch wenn Antonenko permanent sein Bestes gab und mit seinem dunklen Tenor mit metallischem Timbre und sicheren Höhen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss. Tatiana Monogarova ist dagegen keine Lisa. Auch sie litt unter der emotionslosen Regie, aber anders als Antonenko klang sie angestrengt, müde und belegt. Die Tonproduktion war weitgehend gaumig, die Darstellung blass - man nahm ihr zu keinem Zeitpunkt die Zerrissenheit oder Verzweiflung der Lisa ab. Schade.

Völlig fehlbesetzt war auch Doris Soffel, die mit den Trümmern ihrer Stimme das Rollendebut als Gräfin gab. Ihr Mezzo klang hart, müde und krächzend. Undifferenziert und laut war die erste Strophe des „Je crains de lui parler la nuit“, die zweite Strophe gelang ihr etwas besser. Auch hatte es die große und stattliche Sängerin schwer, eine gebrechliche Greisin zu verkörpern, da half es auch nicht, dass ihr ein Stubenmädel die schicke Perücke vom Kopf zog und darunter graue Haare zum Vorschein kamen. Treffer versenkt, Rolle verschenkt.

Immerhin gelang es Brian Mulligan, in der undankbaren Partie des Jeletzky etwas Stimmung aufkommen zu lassen. Feinheiten und Differenzierung sind zwar auch nicht die Stärke dieses Sängers, aber er sang seine Arie mit einer derartigen kernigen Eleganz, dass man man ihm erstere Schwäche gerne verzieh. Positiv fielen noch Anna Goryachova mit warmem Mezzosopran als Pauline und Alexey Markov als Graf Tomski auf, die restlichen kleineren Partien waren zumindest solide und rollendeckend besetzt.

Sehr schön und präzise sang der von Jürg Hämmerli einstudierte Chor, während das Orchester unter Jiri Belohlavek vor allem eines war: laut. Immer wieder wackelte es zwischen Bühne und Graben gewaltig, das Orchestervorspiel zum Maskenball war leider völlig versemmelt . Auch wenn es gegen Ende noch einige stimmungsvolle Momente gab, eine solche Orchesterleitung trug die Oper nicht mal ansatzweise, dafür fehlte es der Interpretation an Spannung und Farben.

Am Ende feierte das Publikum Aleksanders Antonenko, während die übrigen Sänger lediglich freundlichen Applaus erhielten. Beim Erscheinen des Regieteams gab es beides: Applaus und Missfallsbekundigungen, allerdings waren letztere noch verhältnismäßig milde. Der Deutsche neben mir fand die Vorstellung rundum „Suppa“, was soll`s ,wir wollen ihm den Glauben, der ihn beglückt nicht rauben.

Dennoch zum Schluss: Das Opernhaus Zürich befindet sich offensichtlich in schlechtem Zustand. Auch Gespräche mit Mitarbeitern belegen das deutlich. Die völlig fehlbesetzen Sänger hätten einem wachsamen Intendanten auffallen müssen, von der deplatzierten Inszenierung rede ich gar nicht. Auch das Orchester spielte in der Intendanz Pereira auf ganz anderem Niveau.

Fazit: Fahrten nach Zürich werde ich mir weiterhin wieder sparen, zumal nächste Saison keine wirkliche Besserung in Sicht ist! Eine Alibi-Netrebko als Anna Bolena (wenn sie denn singt) macht den Braten noch lange nicht fett. Man kann nur hoffen, dass die Züricher diesen Intendanten gemeinsam mit seinen Regietheaterfreunden schnellstmöglich entfernen.

Sterne: 
-szenisch:      2 von 5
-musikalisch: 3 von 5

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